Bei den Videoaufnahmen im Studio: Luis Vicario (links) mit dem spanischen Gitarristen Oscar Mateos Martin. Foto: Hoffer
Kultur
„Kultur fürs Wohnzimmer“: Pforzheimer Künstler Luis Vicario erfindet sich immer wieder neu
  • Michael Müller

So oder so: 2020 ist „sein Jahr“. „Denn ich werde 60 – und es ist einfach ein tolles Gefühl“, sagt Luis Vicario. Dass aus vielen geplanten Auftritten erst einmal nichts wird, ist inzwischen klar. Umso mehr freut es „den spanischsten Spanier Pforzheims“, bei der PZ-Solidaritätsaktion „Kultur fürs Wohnzimmer“ mitzumachen. Das PZ-Medienhaus setzt gemeinsam mit den Kulturschaffenden, die allesamt auf ihre Gagen verzichten, mit „Kultur fürs Wohnzimmer“ ein Zeichen und unterstützt die lebendige Szene. Denn die Lage ist verheerend: Alle Künstler haben keine Auftritte mehr. Einnahmen brechen über mehrere Monate weg. Für die an der Aktion beteiligten Protagonisten ist es Ehrensache, dass sie die Erlöse spenden, die ihre Videos einbringen.Sie sollen an Künstler aus der Region gehen, die unter der Krise zu leiden haben.

Vicario sieht dies als tolle Gelegenheit für Künstler, ihren Fans zu sagen: „Hallo Pforzheim, wir sind immer noch für euch da.“ Das Schöne an dem Projekt sei, in einer schwierigen Zeit eine kleine Ablenkung in die Wohnzimmer zu bringen. „Der Shutdown hat für jeden einzelnen Künstler sicherlich eine kreative Denkpause mit sich gebracht, die sie oder er nutzen muss, um sich neu zu finden und neue Ideen zu kreieren“, sagt Vicario. Er ist optimistisch – und der Meinung, dass danach mit Sicherheit jeder mit vollem Elan und großer Begeisterung das Publikum wieder finden wird.

Im Video spielt Vicario mit dem aus Salamanca stammenden Gitarristen Oscar Mateos Martin, mit dem er zuletzt nach all den Jahren sein erstes spanisches Programm „Viva la musica“ einstudiert hat, ein Medley aus den Klassikern „Siboney“, „Bella Ciao“ und „Quizás“ sowie als Überraschung seinen neusten „Lieblingssong“. Nur so viel sei verraten: Vicario schlägt damit den Bogen von spanischer Leidenschaft zu deutschem Pop.

Falls Sie diesen Artikel in der PZ-App lesen und das Video nicht korrekt dargestellt wird, klicken Sie bitte hier. Es öffnet sich ein neues Fenster.

Sich selbst immer wieder neu erfunden hat Luis Vicario im Lauf der Jahrzehnte – ein Chamäleon der Bühne. Ob Poesie, Musical, Pop, Jazz, deutsche 1920er-Jahre oder Mundart bis zur Latin-Musik. Mancher Fan bezeichnet ihn schon heute als lebende Legende.

Vicarios ganz persönliche Geschichte ist spannend: Seit 1961 wohnt er in Pforzheim. Seine Eltern waren „die typischsten Gastarbeiter der 60er-Jahre“, sagt er. Sie kommen mit sieben Kindern nach Deutschland. Er selbst lernt Juwelengoldschmied. 1977 fängt er bei Prunksitzungen des Narrenbunds Kakadu in Bilfingen an zu singen. Dann geht es los mit Auftritten bei Talentwettbewerben, bis er einen in Backnang gewinnt. Es folgen SDR3-Galas, Revuen – und diverse Duette.

Die wichtigsten Stationen: „Time Steps“ mit Gabriela Kuhn, Sabine Roser und Marion Kreeb (1989), „Showtime Broadway“ mit seiner Tochter Lucia, Sarah El Radaff und am Piano Waldemar Juhl (2004), „Entstaubte Lieder“ mit Alexander Weber sowie Christian Knebel am Piano (2005). Wenig später startet Vicario sein erstes Soloprogramm: „Liebesarten“ mit Waldemar Juhl am Klavier, 2011 folgt „Spinnefeind“ als Diva Luise Schrill, begleitet von Paul Taube.

Nicht nur Sänger, sondern auch Poet

Schon hier wird spürbar, wie sich Vicarios Kunst in all den Jahren verändert hat: Er ist nicht nur Sänger, sondern auch Poet. Auf der Bühne wechselt er ständig die Rollen: mal frisch, frivol und verrucht, dann wieder nachdenklich und mit Tiefgang. Bei „Immer im Kreis“ interpretiert Vicario alte Lieder der 1920er- bis 50er-Jahre mit Benjamin Sanic am Piano. Seit 2014 gibt es das Chanson-Programm „Grand Prix“, 2016 dann

„I bin en Pforzemer Seggel“, in typischer Mundart mit Simon Bahlinger am Klavier. 2018 schließlich wirkt er mit beim „Goldstadtsong“. Dazwischen verzaubert er sein Publikum immer wieder bei Galaauftritten, auch bei Sat.1 und RTL. Er bereichert die Musicals „Nonsense“ (Kupferdächle) und „The Boyfriend“ (Osterfeld).

Im vergangenen Jahr entsteht aus „Liebe, Leid und Leidenschaft“ gemeinsam mit Frank Förschler Vicarios aktuelle Produktion „Frauenlieder für Männer“. Als Marlon Nefander schlüpft er in die Rolle der „Grand Dames“ des deutschen Chansons wie Marlene Dietrich, Hildegard Knef und Zarah Leander. Die Lieder sind auf allen gängigen Streaming-Plattformen zu hören, sozusagen als vertonter Gedichtband.

Vicario kann also auf bewegte Zeiten zurückblicken, nicht nur künstlerisch: „Ich glaube, wenn ich mein bisheriges Leben noch mal durchleben dürfte, dann würde ich es so lassen, wie es ist. Ich habe drei gesunde Kinder und vier gesunde Enkel“, sagt er. Und das sei für ihn sein größter Erfolg.

Das ist der Trailer zur Aktion "Kultur fürs Wohnimmer"

Mehr Infos gibt es hier: Kultur fürs Wohnzimmer: PZ bringt Auftritte von Künstlern aus der Region virtuell nach Hause

Themen

KulturCoronaMusikPforzheim