Bosse im Gespräch mit PZ-Redakteurin Jeanne Lutz im Backstage-Bereich auf dem Happiness.
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PZ-Interview mit Bosse übers Happiness, die Jugend und den Beamten-Musiker
  • Jeanne Lutz

Freitagmittag in Schwann. Gerade ist noch ein sintflutartiger Regen heruntergekommen, jetzt hat sich die Sonne hinter den Wolken vorgekämpft. Im Backstage-Bereich des Happiness-Festivals lümmeln die Musiker, essen, quatschen, bereiten sich auf ihre Auftritte vor. Einer von ihnen ist Sänger Axel "Aki" Bosse – den der Regen voll erwischt hat…

Bosse: Meine Hose ist voll nass. Da habe ich mich wieder eingenässt – vor Freude aufs Interview.

PZ: Ich hoffe, das war ernst gemeint. Nass geworden?

Bosse: Ich war gerade leider dummerweise joggen.

PZ: Mitten in den Regen rein?

Bosse: Ja, erst war es nur ein bisschen, aber dann gab's richtig auf die Mütze.

PZ: Ist das Tradition bei dir, vor dem Auftritt joggen zu gehen?

Bosse: Ja, das mache ich eigentlich echt ganz gerne.

PZ: Ist man danach nicht eher kaputt?

Bosse: Eher das Gegenteil. Ich komme dann sofort wieder in so einen Sportlermode und denke, ich muss mich noch so ein bisschen auslaufen, damit die Knochen und die Muskeln wieder locker werden. Die Birne frei machen – das ist eigentlich immer ganz gut. Heute ist hier ja alles entspannt, aber wenn es ein größeres Festival ist, oder ein Samstag, wo schon alle voll sind und ich tausend Gespräche habe, dann renne ich gerne noch eine Runde durch den Wald.

PZ: Du warst vor Kurzem auf dem Southside und dem Hurricane, bald auf dem Sziget in Ungarn – größer gehts nicht mehr. Machen so kleinere Festivals wie das Happiness dann trotzdem Spaß?

Bosse: Es ist ja gar nicht so klein. Mit 11.000 Leuten pro Tag ist das schon eine große Veranstaltung. Wir haben am Donnerstag in Darmstadt gespielt – wir machen gerne so Warm-Up Clubshows – und da haben wir vor 1200 Leuten gespielt. Das finde ich auch schon groß. Aber es macht auch von der Bühne oft keinen großen Unterschied mehr, ob da 5000 stehen, oder 30.000. Ist das dann immer eine große Masse an Köpfen und Körpern. Und es macht immer Spaß. Wenn dann 30.000 Leute da stehen, macht es so einen "Herr der Ringe"-Eindruck: Wie die Orks, Menschen soweit das Auge reicht.

PZ: Auf der Bühne bist du ultra fit. Wie hält man so einen Festival-Sommer durch?

Bosse: Im besten Fall nicht so viel saufen, gut essen… Ich habe eine gute Freundin, die ist Profi-Tennisspielerin. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass sich unsere Tagesabläufe gleichen, so okay-feste Schlafzeiten, sie achtet darauf, was sie isst… Ich esse jetzt nicht nur einen Apfel am Tag, aber wenn ich auf Tour bin, achte ich schon auf meine Gesundheit. Das Schlimmste wäre für mich, wenn so ein Ticket 35 Euro kostet, dass ich total verkatert vor 4000 Leuten stehe, die sich aber seit einem halben Jahr drauf freuen und ich dann da rumdümpel. Das will ich nicht. Dann würde ich aufhören. Ich will dem Publikum was bieten – darum geht’s. 

PZ: Jetzt bist du ja hier durch den Wald gejoggt. Was ist denn so dein erster Eindruck – lässt es sich hier aushalten?

Bosse: Ich fand es architektonisch krass pittoresque, mit gutem Geschmack. Als hätten Jungarchitekten aus alten Häusern tolle neue Sachen gemacht haben. Und überall gibt es Solaranlagen, das ist mega vorbildlich. Da muss man im Hamburg teilweise noch immer drum kämpfen. Und sonst, sehr schöne Natur. Der Apfel und die Kirsche werden in diesem Jahr gut, hängt alles voll!

PZ: Weshalb ich frage - die Menschen hier, vor allem die Pforzheimer, haben ein bisschen ein gespaltenes Verhältnis zu ihrer Stadt. Deine neue Single "Hello Hometown! ist dagegen ein Liebeslied an deine Heimat – was macht sie für dich denn so schön, dass du ihr ein eigenes Lied gewidmet hast?

Bosse: Es ist eigentlich ein Lied an die vielen Heimaten, die ich hatte und habe. Ich bin so oft in meinem Leben umgezogen, und überall ist ein Stück von mir. Ich habe in Berlin gewohnt, jetzt wohne ich in Hamburg, mal in Spanien und mit meiner Familie war ich auch mal ein Jahr in der Türkei – meine Frau ist Türkin. Und dann gibt es da noch meine alte Heimat. Ich bin auf den Song gekommen, weil es bei mir schon so ist, dass wenn ich die alte Dorfstraße hochlaufe, dass ich dann da noch meinen Vadder sehe, als er noch fit war, und meinen Bruder als Indianer verkleidet auf dem Apfelbaum. Vor allem aber geht‘s ums nach Hause kommen. Und das habe ich mittlerweile in Hamburg - die Leute, die Clubs und die Bordsteine, mit denen man etwas verbindet.

PZ: Apropos Bordsteine - du singst in "Hello Hometown" von Teenieträumen, die im Heimatdorf am Bordstein kleben – was waren denn deine Teenieträume? Welche davon hast du wahr gemacht, und welche blieben auf der Strecke?

Bosse: Auf der Strecke geblieben ist gar nicht so viel, ich habe mich da immer ganz gut angestrengt. Aber ich habe auch gar nicht so viel geträumt. Also, ich habe immer davon geträumt, Musiker zu werden und davon vielleicht auch irgendwie leben zu können - wobei ich mir als Teenager noch nicht so richtig einen Begriff davon machen konnte, was das eigentlich bedeutet. Ich wollte immer ein offenes, freies Leben führen. Das ist einer der Gründe, wieso ich mich für diesen Beruf entschieden hab, weil ich nicht so Bock auf dieses "8 bis 18 Uhr arbeiten und es danach schnell vergessen"-System hatte. Darauf hatte ich nie Bock und war dann auch richtig schlecht in solchen Sachen. Und ich war immer besonders gut in Dingen, auf die ich Lust hatte. Und das war vor allem Musik – oder kochen, oder gärtnern. Das wären vielleicht noch Optionen gewesen: Wahrscheinlich wäre ich sonst Koch geworden, oder hätte Gartenbau gemacht.

PZ: Also stehen keine großen Träume mehr aus?

Bosse: Man kann immer mehr reisen. Ich habe eine Freundin, die ist Reisejournalistin und kommt dann wieder braun gebrannt von irgendeiner kleinen Insel hinter Hawaii, von der man noch nie gehört hat. Da bin ich schon manchmal neidisch, denn ich würde gerne ein bisschen mehr reisen. Aber das sagt jeder, wenn man ihn fragt, wovon er träumt. Jeder sagt Neuseeland, und wenn er da schon war, eben irgendwas anderes.

PZ: Aber du kommst durch das Touren ja viel rum. Ist das eine Belastung für dich, oder genießt du das?

Bosse: Null Belastung – ich genieße das voll! Diesen Tourhythmus habe ich ja auch nicht immer, das ist dann ein bisschen wie Urlaub.

PZ: Wie Urlaub?

Bosse: Ja. Wenn ich Zuhause bin, ist es schon so, dass ich super früh aufstehe und einen strikten Arbeitsplan habe. Den muss ich auch haben. Ich bin da eher ein Beamter für einen Musiker. Ich hab ja auch ein Kind gezeugt und noch nie in meinem Leben bis 11 Uhr gepennt. Also selten – wenn, muss es eine große Ausnahme sein. Sonst stehe ich früh auf und habe Bock auf einen strukturierten Tag. Und deswegen genieße ich das Touren manchmal schon, weil sich dadurch alles etwas verschiebt.  Ich stehe dann bis 23 oder 0 Uhr auf der Bühne und kann dann auch bis 3 Uhr nicht pennen. Dann schlafe ich vielleicht auch mal etwas länger  – wobei ich heute auch wieder um 8 Uhr aufgestanden bin.

PZ: Der Beamten-Musiker eben...

Bosse: Ja, ich wollte mal gucken, ob hier auf dem Happiness alles in Ordnung ist und richtig läuft (lacht).

PZ: Und, alles okay?

Bosse: Ja, ist alles gut. Sehr holzig - das ist super (deutet auf das geschreinerte Inventar des Backstage-Bereichs).

PZ: Ist dir der Umweltaspekt denn wichtig?

Bosse: Klar, ist das wichtig. Das hat sich alles ganz gut entwickelt. Ich habe das Gefühl, dass die Generation Festival, wie ich sie in den letzten drei, vier Jahren erlebt habe, es auch verstanden hat: Dinge wie Recycling, Plastikvermeidung. Ich habe mit "Hanseatic Help" mal eine Aktion gestartet, die heißt: „Dein Zelt kann ein Zuhause sein“. Auf dem Hurricane-Festival sammeln die jedes Jahr Zelte ein, die sonst eben stehen bleiben würden. Wie bescheuert müssen Leute sein, die ihre Zelte da einfach liegenlassen nach dem Motto: Irgendwer räumt’s schon weg. Genau diese Moral geht nicht mehr.

PZ: Das Happiness-Publikum ist sehr jung. Du singst immer wieder über die Jugend  - was war für dich das Tolle daran und was hättest du gerne mit in das Erwachsensein mitgenommen?

Bosse: Der größte Vorteil an der Jugend war, dass man keine Verantwortung hatte, außer für sich und seine Freunde. Ich mochte dieses freie Gefühl – nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut“. Und dann diese vielen ersten Male - ganz vieles, was man zum ersten Mal sieht oder erlebt, kickt natürlich am meisten. Die erste richtige Reise alleine, die ist dann schon legendär. Und diese vielen ersten Male werden einem automatisch genommen, wenn man es gemacht hat. Und so wird man langsam immer älter und immer älter, weiß immer mehr… Dann kommen diese Kleinigkeiten, die nerven, als Erwachsener aber dazu gehören: wie eine Steuererklärung machen zu müssen – da geht’s schon los. Dazu kommen dann Dinge, wie eine Beziehung führen, Kinder kriegen – das bedeutet alles, sein Herz zu öffnen und somit eine Verantwortung zu übernehmen. Was super toll ist – ab einem gewissen Alter. Ich weiß noch, als ich damals das erste Mal auf einem großen Festival als Backliner dabei war. Ey, da habe ich mir so mega den Arsch abgefreut. Da war ich drei Wochen glücklich und davor schon drei Wochen. Mittlerweile fahr ich hin und bin entspannt – ich bin eben kein Teenager mehr. 

PZ: Ist das das Schöne am Älterwerden, dass man eine gewisse Gelassenheit entwickelt?

Bosse: Voll. Aber man darf auch nicht zu gelassen werden. Ich bin noch mega interessiert und kann deswegen noch viele erste Male haben. Ich muss mich inzwischen nur mehr anstrengen als früher.

PZ: Dein aktuelles Album heißt „Alles ist jetzt“. Darin geht es viel darum, das Leben zu genießen. Du bist aber auch sehr politisch, machst dich immer wieder gegen rechts stark. Fällt es einem als politischer Mensch schwer, derzeit positiv zu bleiben?

Bosse: Finde ich überhaupt nicht - ich glaube, man hat gerade sogar keine andere Möglichkeit. Es gibt derzeit viele Gründe, um sich aufzuregen. Aber die absolute Gegenreaktion muss stärker sein – aus diesem Kotzkrampf muss immer auch was Positives entstehen, sonst bringt das Ganze nichts. Man muss diesen Leuten Stopp sagen, man muss andere Menschen aktivieren, Ideen haben. Man muss bunt sein und man muss darüber sprechen. Ich glaube, das Gegenteil von Negativsein ist gerade das Credo! 

Axel „Aki“ Bosse wurde 1980 in Braunschweig geboren. Seit mehr als 20 Jahren macht der Vater einer Tochter, der mit seiner Familie in Hamburg lebt, Musik. Bereits mit seiner früheren Schülerband feierte er Erfolge, 2005 veröffentlichte er sein erstes Album als Solokünstler. Inzwischen zählt Bosse zu den erfolgreichsten Musikern Deutschlands, sein aktuelles Album „Alles ist jetzt“ erreichte Platz 1 der Charts. 

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