Die Geschäftsführer von Müller Fleisch, Stefan (links) und Martin Müller, liefern sich eine öffentliche Auseinandersetzung mit Katja Mast.
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Öffentlicher Disput zwischen Mast und Müller Fleisch: Das sind die kompletten Stellungnahmen
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Pforzheim/Enzkreis. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast und die Geschäftsführung der Firma Müller Fleisch haben sich in in einem öffentlichen Schriftwechsel eine verbale Auseinandersetzung miteinander geliefert. Wie aus den Schreiben der beiden Beteiligten hervorgeht, ist Müller Fleisch erstaunt und verärgert über eine Videobotschaft von Mast auf Facebook, in der sie zu einer Unterschriftenaktion gegen den Birkenfelder Schlachtbetrieb aufruft. Mast wiederum beharrt in einer Pressemitteilung auf ihrer Meinung zu dem Infektionsgeschehen bei Müller Fleisch und fordert den Dialog mit der Firma ein. PZ-news zeigt die kompletten Stellungnahmen und das Video von Mast.

Zur Stellungnahme von Müller Fleisch auf der Webseite des Unternehmens, klicken Sie hier.

Die Stellungnahme von Katja Mast im Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Müller,

sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für Ihr Schreiben. Ich begrüße es sehr, dass Sie sich erstmals bei mir persönlich melden. Gleichzeitig ist mir wichtig zu betonen, dass dieser Dialog durchaus früher möglich gewesen wäre. Denn die Beschäftigungsbedingungen in der Fleischwirtschaft sind seit vielen Jahren ein Thema, das mich politisch beschäftigt.

Ich weise hiermit zurück, dass Sie von meinen Fragen auf Facebook erfahren haben. Ich habe Ihnen am 28. April 2020 persönlich geschrieben. Mein Schreiben hat selbstverständlich die im Aufruf befindlichen Fragen enthalten. Zudem hat sich in Ihrem Unternehmen ein in der Bundesrepublik einmaliges Infektionsgeschehen ereignet, das bis heute anhält. Angesichts der Tragweite und des – aus meiner Sicht berechtigten – öffentlichen Interesses, wäre eine frühere Kontaktaufnahme für mein Dafürhalten ebenfalls möglich gewesen.

Meine Aufgabe als Bundestagsabgeordnete ist, die Geschehnisse politisch aufzuarbeiten und dabei das Gemeinwohl im Blick zu behalten. Mich haben in den letzten Wochen zahlreiche Rückmeldungen von Bürgerinnen und Bürger – auch über die Region hinaus – erreicht. Im Übrigen so viele unterstützende Rückmeldungen, wie selten zuvor. Das Thema bewegt die Menschen, auch und vor allem in der Nachbarschaft Ihres Unternehmens.

Ich bin seit Wochen, neben vielen anderen durch die Corona-Pandemie bedingten Herausforderungen, mit der Frage der überdurchschnittlich hohen Corona-Infektionen in der Fleischwirtschaft befasst. Und ich habe mich sehr umfangreich informiert – die Anzahl der Gespräche, die ich auf allen Ebenen geführt habe und führe, kann ich kaum noch zählen. Mein Bild ist ziemlich klar. Und das hat sich auch über die letzte Woche und das Wochenende hinweg bestätigt.

Ich habe auch nicht vergessen, dass 2013 ungarische Beschäftigte bei Ihnen vor dem Werkstor standen und ich sie mehrfach mit Essen versorgt habe. Und ich kann mich noch gut an Ihre Haltung erinnern, dass Sie sich für die Entlohnung damals nicht verantwortlich fühlten – es sei ja schließlich Ihr Subunternehmer dafür zuständig. Am Ende haben sie aus „Kulanz“ doch eine Unterstützung veranlasst.

Neben der Regulierung von Werkverträgen und Leiharbeit sowie der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, die alle von mir politisch gefordert und verhandelt wurden, will ich auch auf die Gesetzesverschärfungen 2017 für die Fleischwirtschaft hinweisen, die ich ebenfalls mit verantwortet habe.

Klar ist: Die Ausbreitung des Corona-Virus bei Ihnen, aber auch bei Westfleisch in Coesfeld sowie bei Vion in Bad Bramstedt, zeigen wie im Brennglas, dass das Geschäftsmodell der Fleischwirtschaft mit einem geringen Anteil an eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zugleich aber einem Löwenanteil von Beschäftigten aus Südosteuropa - insbesondere Polen, Ungarn und Rumänien - an die Grenzen dessen geht, was dem Gemeinwohl dient. Denn es beruht oft auf Vertragsgeflechten, die kaum noch durchschaubar sind. Die Vermietungen von Sammelunterkünften über Subunternehmen und/oder andere Anbieter führen auch dazu, dass der Arbeits- und Infektionsschutz so nicht gewährleistet sind. Sonst wäre es nicht, auch bei Ihnen, zu der massiven Ausbreitung des Virus gekommen.

Deshalb sehe ich Sie als Unternehmer in der Verantwortung für die Sammelunterkünfte und den Transport in Ihr Unternehmen. Das beinhaltet selbstverständlich auch die Einhaltung unserer Arbeitsschutz- und Gesundheitsschutzstandards in Ihrem Betrieb. Selbstverständlich ist für mich dabei, dass Sie nicht nur Vereinbarungen mit Ihren Subunternehmern eingehen, sondern auch einen Mechanismus aufbauen, der dafür sorgt, dass diese eingehalten werden. Das betrifft natürlich auch Unterkunft und Transport. Davon ist leider in Ihrer Antwort an mich keine Rede. Politisch ist für mich klar, dass wir mehr Beratung für die Beschäftigten in ihrer Heimatsprache brauchen. Auch deshalb will ich einen Ausbau und die Verstetigung des Projektes Faire Mobilität. Aber klar ist auch, dass wir ein völlig anderes Verantwortungsgefüge bei Geschäftsmodellen wie dem Ihrigen brauchen. Darüber hinaus unterstützte ich die Haltung des Landratsamtes, ein Geschäftsmodell aufzulegen - inklusive einer anderen Unterbringung - damit Ihr Betrieb weitergeführt werden kann.

Doch gerne nochmal zu meinem Aufruf und den Fragen: All' die Fragen, die im Raum stehen, sind in meinen Aufruf eingeflossen. Er wird von meiner Partei und Gewerkschaften breit getragen und mittlerweile haben ihn fast 700 Menschen, ohne breit angelegte Werbung und überwiegend aus unserer Region, unterzeichnet. Ich weise hiermit auch den Vorwurf eines konfrontativen Angriffs und einer Kampagne zurück. Mir liegt sehr viel am Wirtschaftsstandort Pforzheim/Enzkreis. Denn ich weiß: Gute Arbeit gibt es nur mit starken Unternehmen. Aber die Arbeit muss eben auch gut sein – und das bezieht sich nicht nur auf das Entgelt, sondern auch alle in Deutschland geltenden Standards. Das wissen alle Beteiligten. Ich bin dabei stets klar, was die Arbeitsbedingungen anbelangt. Das war, ist und bleibt so.

Meine politische Kernforderung ist, dass Sie als Unternehmen eine Verantwortung für die Unterbringung Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen, weil Ihr Geschäftsmodell darauf beruht. Und wenn Sie dies genauso sehen würden wie ich, wären Sie ja auch selbst Mieter der Sammelunterkünfte, denn dann könnte der Arbeitsschutz diese kontrollieren. Diese Forderung adressiere ich nicht ausschließlich an Ihr Unternehmen, sondern sie gilt für die gesamte Fleischwirtschaft und alle weiteren Bereiche, wo Beschäftigte als Saisonkräfte in Sammelunterkünfte wohnen.

Dabei mag es eine unterschiedliche, rechtliche Bewertungen geben, aus politischer Sicht gehört die moralische und die gesellschaftliche Dimension aber gleichwertig dazu. Insofern reicht es mir auch nicht, was Sie als Unternehmen als Kompensation anbieten. Diese Forderung wird von einem Großteil der Bevölkerung getragen und ich sehe es auch als meine Aufgabe an, dies klar zu benennen.

Mein Eindruck ist, dass Sie im Kern an Ihrer Haltung festhalten. Ich habe meine politischen Forderungen dargelegt. Insofern schätze ich den offenen Austausch. Ihrem Wunsch nach Veröffentlichung auf meiner Webseite oder auf meinen Social-Media-Kanälen kann ich nicht entsprechen. Da Sie Ihr Schreiben an mich öffentlich gemacht haben, werde ich meine Antwort der Presse zur Verfügung stellen und es ebenfalls auf meiner Homepage veröffentlichen.

Für Ihre Einladung zum persönlichen Austausch danke ich Ihnen. Mein Vorschlag ist, dass wir ein Gespräch führen, gerne auch per Videokonferenz.

Abschließend – und weil mir Transparenz wichtig ist – der Hinweis, dass die Bundespolitik die Infektionsgeschehen in der Fleischwirtschaft derzeit intensiv beobachtet. Die rechtlichen Fragen werden auf allen Ebenen geprüft. Schon diese Woche wird es eine Debatte im Bundestag geben, zudem ist das Thema Gegenstand der Regierungsbefragung.

Mit freundlichen Grüßen

Katja Mast MdB

Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion

Leiterin der Taskforce "Soziale Folgen der Corona-Pandemie""

Zum Facebook-Video von Katja Mast.

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