Völlig erschöpft, völlig verdreckt, völlig verschwitzt: Sabine Kuegler trotzt den etlichen Strapazen im tiefsten Dschungel, um wieder gesund zu werden.
privat/Kuegler
Pforzheim
„Diese Reise hat mich sehr traumatisiert“: Weltbestseller-Autorin kommt ins PZ-Forum
  • Petra Joos

Pforzheim. „Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind“ – hinter dem Titel des neuen Buches von Sabine Kuegler steckt beides: eine reale Geschichte und eine Metapher für kulturelle Missverständnisse, die ihr das Leben sehr schwer gemacht haben. Am 15. Mai kommt die bekannte Autorin des Weltbestsellers „Dschungelkind“ (2005) ins PZ-Forum, um ihr neues Buch vorzustellen. Es beschreibt ihre Rückkehr in den Dschungel als todkranke Frau auf einer dramatischen Suche nach Heilung. Im PZ-Interview wirft die 51-Jährige einen Blick zurück auf ihr Leben, erzählt davon, was diese Reise mit ihr gemacht hat und wie sie heute lebt.

PZ: Frau Kuegler, würde man Ihr Leben zeichnen wollen, könnte man eine Achterbahn malen mit einer rasanten Fahrt auf hohe Höhen und in tiefe Tiefen. Hätten Sie mal Lust auf eine gemächliche Runde im Riesenrad?

Sabine Kuegler: (lacht) Ja, ich komme jetzt in ein Alter, in dem ich lieber das gemütliche Riesenrad habe als die Achterbahn. Ich mag die Bequemlichkeit, ich mag die Ruhe.

Sie sind im Dschungel von Westpapua beim Stamm der Fayu aufgewachsen und im Alter von 17 Jahren in den Westen – zuerst in die Schweiz, später nach Deutschland – übergesiedelt. Der Kulturschock muss enorm gewesen sein.

In den ersten Jahren war es ganz schlimm. Meine Schwierigkeit war damals, dass ich diese kulturellen Unterschiede nicht verstanden habe, weil ich ja äußerlich aussah wie alle anderen. Aber meine Reaktionen, meine Emotionen, mein Benehmen waren manchmal so anders. Ich bin in einer Kultur aufgewachsen, die noch im Steinzeitalter war. Die Unterschiede zum Westen waren einfach extrem.

So funktioniert Körperhygiene im Dschungel: die Dorfdusche.
privat/Kuegler

Wie haben sich die Schwierigkeiten in der Praxis gezeigt?

Ganz banal zum Beispiel beim Überqueren einer Straße. Mein Gehirn konnte Geschwindigkeit und Distanz nicht kalkulieren, um zu wissen, habe ich jetzt genügend Zeit, um rüberzugehen, oder nicht. Meine Kinder können das in Bruchteilen von Sekunden abschätzen, ohne dass es ihnen bewusst ist. Mein Gehirn kann das nicht, weil es das ja vorher nie musste. Das ist zwar besser geworden im Lauf der Jahrzehnte, aber mir ist heute noch nicht wohl dabei, eine Straße zu überqueren.

Immer an ihrer Seite: Mickey, dem Kuegler auch das Buch gewidmet hat.
privat/Kuegler

Sie sprachen auch von emotionalen Problemen mit der westlichen Kultur. Haben Sie ein Beispiel dafür?

(lacht) Einige sogar. In der Stammeskultur ist es sehr unhöflich, viele Fragen zu stellen. Es wird als Zeichen des Misstrauens verstanden. Als ich in den Westen kam, wurde ich natürlich viel gefragt und daraufhin sehr wütend, ohne aber zu verstehen, warum ich so empfand. Ähnlich gravierende Kulturunterschiede gibt es beim Thema Schreien: In der Stammeskultur bedeutet das immer Gefahr. In der westlichen Kultur wird aus Wut geschrien oder aus anderen Gründen. Ich geriet dann sofort in Panik. Mein Verstand sagte mir zwar, da ist keine Gefahr, aber mein Gefühl war ein komplett anderes. Erst als ich das verstanden habe, wurde es etwas besser.

Ihr neues Buch stellt Kuegler am 15. Mai im PZ-Forum vor.
Westend Verlag

Was hat Ihnen dabei geholfen?

Ich glaube, das fing 2005 mit dem Schreiben des Buches „Dschungelkind“ an. Da habe ich mein Anderssein ein bisschen mehr verstanden. Ich bin innerlich keine Europäerin. Kulturell bin ich Asiatin. Ich konnte mir durch das Schreiben und das damit verbundene tiefe Eintauchen in mein bisheriges Leben diese Widersprüche besser erklären.

2012 sind sie zurück in den Dschungel. In Ihrem Buch beschreiben Sie die dramatische Suche nach Heilung für Ihre tödliche Krankheit, die Sie im Westen nicht finden konnten. Es sollte fünf Jahre dauern. Was hat diese Zeit mit Ihnen gemacht?

Zuallererst habe ich gefunden, wonach ich gesucht habe – und das macht mich sehr froh: Ich bin endlich wieder gesund, ich lebe noch! Aber diese Reise hat mich sehr traumatisiert, weil ich so lange getrennt war von meinen Kindern, die damals zwischen 11 und 21 Jahre alt waren. Damit habe ich heute noch sehr zu kämpfen. Diese fünf Jahre waren extrem: Immer dachte ich, dieses Mittel wirkt jetzt, weil es mir nach der Einnahme richtig gut ging – und dann kamen die Symptome mit voller Wucht zurück. Dieses Auf und Ab, dieser Wechsel von Hoffnung zu Enttäuschung – und das immer und immer wieder, über Jahre hinweg: Das war sehr hart für mich, und ich bin davon definitiv traumatisiert. Ich glaube, da kommt man nicht so schnell drüber hinweg.

Gab es auch positive Veränderungen?

Ja, absolut. Ich bin zum ersten Mal in mir selbst ganz zur Ruhe gekommen. Im Westen hat man ja eine andere Wahrnehmung von Zeit, die läuft hier wahnsinnig schnell. Es gibt Fernsehen, Entertainment, Termine – man kommt nie zur Ruhe. Im Urwald ist nichts. Man sitzt nur da, und dann fängt man an zu denken. Damit kommt man in eine völlige Ruhe, fast wie eine Art Meditation. Ich war wieder in der Stammeskultur und sah, wie ich mich seit meinem Weggang in den Westen 22 Jahre zuvor verändert hatte. Ich analysierte diese beiden Kulturen quasi regelrecht und sprach ganz viel mit den Menschen dort. Und so kam es, dass ich plötzlich alles wirklich verstehen konnte. Ein gewisser Prozess hatte ja schon eingesetzt, aber er war nicht abgeschlossen. Ich konnte verstehen, warum ich mir so viele Fragen stelle. Ich konnte verstehen, warum ich mich selbst in Frage stellte, weil ich oft etwas fühlte, ohne zu verstehen warum. Ich habe mich in diesen fünf Jahren zum ersten Mal selbst verstanden und mich dann zum ersten Mal auch selbst richtig akzeptieren können, ohne zu denken: „Oh, was ist mit mir los.“ Ich habe immer gedacht, mit mir stimmt was nicht.

Dabei hatten Sie nur eine andere Kultur.

Ja, aber das war das Entscheidende. „Das weiß doch jeder, das ist doch selbstverständlich“ – diese Aussage habe ich oft gehört, und sie hat mich jahrelang sehr gequält. Es sind die Kulturen, die uns Menschen unterschiedlich machen, nicht unsere Hautfarbe. Ich glaube, uns ist gar nicht bewusst, dass jemand deshalb vielleicht anders reagiert. In Indonesien lacht man zum Beispiel, wenn jemand hinfällt – um den Gefallenen zu ermutigen, sich nicht dafür zu schämen. Im Westen fühlt man sich dagegen ausgelacht und wird wütend. Der andere versteht das nicht, so wie ich oft. Ich wusste gar nicht mehr, wie ich reagieren sollte, fühlte mich angegriffen. Und das löst Angst aus. Fast mein ganzes erwachsenes Leben lang hatte ich dieses Gefühl. Erst, seit ich diese kulturellen Missverständnisse wirklich verstanden habe, fühle ich mich sicher.

Dennoch sind und bleiben Sie innerlich eine Frau vom Stamm der Fayu, schreiben Sie in Ihrem aktuellen Buch. Wie macht sich in Ihrem Alltag bemerkbar?

In einem Stamm gibt es nur die Gruppe, keine Individuen. So bin ich groß geworden. Deshalb brauche ich nur wenig Privatsphäre und fühle mich absolut wohl, wenn das ganze Haus voll ist mit Leuten. Ich laufe auch gerne barfuß und habe eine sehr lange Zeit gebraucht, bis ich wieder im Bett geschlafen habe. Auf dem Boden war es für mich bequemer.

Werden Sie Ihren Lebensabend im Dschungel verbringen?

Ich habe nicht mehr dieses unglaubliche Heimweh. Es hat zwar lange gedauert, aber ich bin zufrieden im Westen, denn ich habe das Gefühl, ich kann mich jetzt anpassen. Nein, ich bleibe hier bei meinen Kindern. Ich habe mir quasi einen Mini-Stamm aufgebaut mit meiner Familie und meinen Freunden.

Kartenreservierung (10,50 Euro/mit PZ-Abo Card 6,50 Euro) für die Lesung am 15. Mai (19 Uhr) unter (07231)933125.

Sabine Kuegler ...

... wurde 1972 in Nepal geboren. Als sie fünf Jahre alt war, gingen ihre Eltern, beide Sprachwissenschaftler und Missionare, in den Dschungel von Westpapua/Indonesien. Dort wurde Kuegler beim bis dato unerforschten Stamm der Fayu groß. Mit 17 Jahren verließ sie den Dschungel und besuchte ein Internat in der Schweiz. Sie blieb in Europa und bekam vier Kinder. Ein unbekannter Parasit ließ Kuegler schwer erkranken, im Westen fand sich keine Therapie für sie. Den Tod vor Augen entschied sie sich, dort Heilung zu suchen, wo die Krankheit ihren Ursprung hat: im Dschungel. Fünf Jahre sollte es dauern. Heute ist Sabine Kuegler wieder gesund, lebt als Unternehmerin in Hamburg und engagiert sich gegen soziale und kulturelle Missstände.

Themen

PforzheimPforzheimpz-forum
VG WORT Zählmarke