ARTIS-Uli Deck// 11.04.2024, Badisches Landesmuseum, BLM, Ausstellung „Welterbe des Mittelalters 1300 Jahre Klosterinsel Reichen
Eine Frau betrachtet das Antependium mit gewirkten Szenen aus dem Leben Jesu (um 1474) in der Schau „Welterbe des Mittelalters“.
ARTIS - Uli Deck
Kultur
Insel mit großer Strahlkraft: Große Landesausstellung zum Kloster Reichenau-Jubiläum
  • Sandra Pfäfflin

Reichenau. Sie gilt als eines der bedeutendsten Zentren des Mittelalters und feiert in diesem Jahr Jubiläum: die Klosterinsel Reichenau im Bodensee. Die Große Landesausstellung „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“, die im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz zu sehen ist, wartet auch mit ganz besonderen Inselschriften auf.

1000 Jahre alte Handschrift

Zu den wichtigsten Exponaten der bis zum 20. Oktober dauernden Ausstellung gehören fünf von der Unesco ausgezeichnete Handschriften aus Paris, Cividale del Friuli, Trier, Aachen und Darmstadt, die in zwei abwechselnden Phasen gezeigt werden sollen. Die Prachthandschriften seien vor mehr als 1000 Jahren auf der Insel entstanden, sagte Olaf Siart, Wissenschaftlicher Projektleiter der Schau, die vom Badischen Landesmuseum veranstaltet wird. „Die Reichenau hat den Buchschmuck zur größten Perfektion gebracht.“ Die Mönche hätten sich zum Teil selbst dargestellt in den Buchmalereien.

"Verbrüderungsbuch" mit  38 000 Namenseinträgen

Einer der wichtigsten Belege für die große Strahlkraft des Klosters im Mittelalter sei das „Reichenauer Verbrüderungsbuch“ gewesen. Klostergemeinschaften hätten angetrieben von der Sorge um das ewige Heil ihrer Seelen spirituelle Bündnisse durch die Bücher geknüpft. Das „Reichenauer Verbrüderungsbuch“ umfasse 38 000 Namenseinträge und sei eines der wenigen erhaltenen Exemplare in Europa. Auch der Name von Odo von Châtillon, der als späterer Papst Urban II. zum Ersten Kreuzzug aufrief, sei darin zu finden.

Besonders während der Großen Landesausstellung einen Besuch wert: die Insel Reichenau im Bodensee.
Felix Kästle/dpa

Kurioser Wetterhahn aus dem jahr 820

Ein etwas kurioses Ausstellungsstück ist Europas ältester Wetterhahn, der die Besucher in die mittelalterliche Klosterwelt führen soll. Er stamme aus dem Jahr 820 und bestehe aus teils vergoldetem Kupferblech. Der Wetterhahn sei sehr gut erhalten und stamme aus einem Kloster in Norditalien. „Ein Wetterhahn ist quasi das i-Tüpfelchen einer neu errichteten Klosterkirche“, sagte Siart.

Beeindruckende Erfolgsgeschichte

Im Jahr 724 gründete der Wanderbischof Pirmin auf der größten Insel im Bodensee das Kloster. Die ersten Jahrhunderte des Konvents erzählen eine beeindruckende Erfolgsgeschichte: Das Benediktinerkloster war eng in die Herrschaft der karolingischen und ottonischen Könige und Kaiser eingebunden und stand im kulturellen Austausch weit über das mittelalterliche Europa hinaus.

ARTIS-Uli Deck// 11.04.2024, Badisches Landesmuseum, BLM, Ausstellung „Welterbe des Mittelalters 1300 Jahre Klosterinsel Reichen
Der Wissenschaftliche Projektleiter Olaf Siart.
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Neu gestaltete Klostergärten

Neben der Ausstellung im Museum können Interessierte auch die Insel selbst besuchen. Dort locken neben den Kirchen neugestaltete Klostergärten und eine Münsterschatzkammer. „In nur neun Kilometern Entfernung liegt das einzigartige Ensemble der drei mittelalterlichen Kirchen St. Georg, St. Maria und Markus und St. Peter und Paul, die zum Welterbe der Menschheit zählen“, erklärte der Direktor des Badischen Landesmuseums, Eckart Köhne.

Mulitmedia-Guide und Podcast

Bei der Ausstellung werde viel geboten, auch medial, sagte Siart. Eine kostenfreie App bietet vielfältige Zugänge zur mittelalterlichen Klosterwelt. Sie beinhaltet einen Multimedia-Guide für die Ausstellung in Konstanz sowie sämtliche Informationen zum Besuch der Insel Reichenau. Bildergalerien gewähren Einblicke in Bauphasen und Besonderheiten der mittelalterlichen Kirchen. Ein Hörspiel von Bestseller-Autorin Tanja Kinkel enthüllt in fiktiven Dialogen intime Geheimnisse der Klostergeschichte. Und der wöchentliche Podcast „Mönchsgeflüster“ erzählt packenden Infos, Fakten und Geschichten rund um das Klosterleben.

Wetterhahn aus Brescia von 820.
Ghigo Roli

Playmobil-Ausstellung über Mönche

Auch für Kinder gibt es viel zu entdecken. Im Museum sind Wesen aus den Handschriften versteckt, die man suchen kann. Das Archäologische Landesmuseum lädt zudem in die Ausstellung „Archäologie & Playmobil – Mönche, Mission, Abenteuer“ ein, die im Eintrittsticket für die Große Landesausstellung enthalten ist.

Zusätzliche Ausstellungen und Vortrag im PZ-Forum

„Spurensuche – Eine Kriminalitätsgeschichte der Reichenau“

Verbrechen auf einer heiligen Insel? Das nach der Säkularisation 1803 nach Karlsruhe transferierte Klosterarchiv der Reichenau enthält wertvolle Schätze aus mehr als 1000 Jahren Geschichte. Doch nicht nur die Kaiser- und Papsturkunden, sondern auch die mannigfaltigen Zeugnisse des Lebens der einfachen Menschen im Herrschaftsgebiet des Klosters faszinieren. Als Korrespondenzausstellung geht das Generallandesarchiv in Karlsruhe auf Spurensuche. Im Zentrum der Präsentation steht das „Malefizbuch“, das 150 Kriminalfälle aus den Jahren 1450 bis 1590 verzeichnet (bis 9. August).

Alte Bücher – neue Inspirationen. Künstlerische Blicke auf die Reichenauer Handschriften

Wie inspirieren Schrift, Tinte, Pergament und die Gestaltung der Reichenauer Handschriften die zeitgenössische Kunst? Wie können die Lesespuren eines Jahrtausends heute gedeutet werden? Auf Einladung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe beschäftigten sich 13 junge Künstlerinnen und Künstler der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe über ein Jahr lang mit den mittelalterlichen Reichenauer Handschriften und entwickelten Antworten, die aktueller nicht sein könnten (bis 15. September).

ARTIS-Uli Deck// 14.09.2023 Badisches Landesmuseum, BLM
Diese Christus-Johannes-Gruppe  wurde von einer Nonne in Auftrag gegeben, die links auf der Thronbank abgebildet ist.
ARTIS - Uli Deck

Nur Beten und Arbeiten? Aspekte klösterlichen Lebens

Was haben ein geflickter Lederschuh, eine Silbermünze aus Schaffhausen und ein an Christus geschmiegter Johannes gemeinsam? Auf den ersten Blick: nichts. Doch wer nachforscht, entdeckt, dass alle drei etwas mit dem Leben im mittelalterlichen Kloster zu tun haben. Die Präsentation in der Sammlungsausstellung „Mittelalter“ des Badischen Landesmuseums im Schloss Karlsruhe gibt als Dauerausstellung Antwort auf die Frage: Haben die Menschen damals nur gebetet und gearbeitet? Objekte, die dort sonst für mittelalterliche Lebenswelten stehen, verraten nun etwas über ihre Rolle im klösterlichen Kontext. Der heute so löchrige Lederschuh aus dem 15. Jahrhundert wurde mehrfach geflickt, bis man ihn schließlich entsorgte und er in der Latrine des Augustiner-Eremitenklosters in Freiburg landete. 500 Jahre später haben ihn Archäologen dort ausgegraben. Über einen blanken Materialwert hinaus sticht die Christus-Johannes-Gruppe ins Auge: Ihre Fassung ist original erhalten und die gesamte Ausführung mit den feinen Details von höchster Qualität. Die Auftraggeberin lässt sich auf dem Bildwerk finden: Die kleine, auf der Thronbank aufgemalte Nonne ist die Stifterin.

Claudia Baumbusch im PZ-Forum

Für den Vortrag im PZ-Forum am Dienstag, 14. Mai, 19 Uhr, gibt es noch Karten unter Telefon (0 72 31) 933-125 oder www.pz-forum.de.

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