Eine Schneise der Verwüstung hatte der Tornado durch Pforzheim gezogen.

PZ-Archiv
Haidach: Gespenstige Stimmung in der Neubau-Siedlung.
PZ-Archiv (6), Schneider
Auf dem Rod: Ganze Häuserfassaden wurden weggerissen.
Bleichstraße: Autos wurden durch die Luft gewirbelt.
Ottenhausen: Zwei Tote forderte der Tornado.
Obere Rodstraße: Kein Gebäude blieb verschont.
Brötzinger Tal: Zerstörtes Autohaus und umgeknickter Strommast.
Neubärental: Fleißige Helfer
Pforzheim
Sommerabend endet im Chaos - Tornado schlägt eine Schneise der Verwüstung durch Pforzheim
  • THOMAS FREI

PFORZHEIM. Es war Pforzheims schlimmste Nacht seit dem Zweiten Weltkrieg: Am Späten Abend des 10. Juli 1968 fegte ein Tornado über die Stadt und das Umland. Er hinterließ für eine Schneise der Zerstörung.

thema-tornado Ein Großteil der Bevölkerung hatte gar nicht mitbekommen, was sich vor 40 Jahren ereignet hatte. Und wer am 11. Juli morgens keine Nachrichtensendung im Radio gehört hatte, auch ohne einen Blick in die Zeitung zu werfen, zur Arbeit geeilt war, wunderte sich , dass viele Kolleginnen und Kollegen fehlten. Sie waren mit Aufräumarbeiten beschäftigt oder sie konnten nicht kommen, weil Straßen unpassierbar waren.

Am Abend zuvor, um 21. 35 Uhr, hatte der Tornado, der seinen Ursprung gegen 20.15 Uhr in Lothringen hatte, an jenem Mittwoch Ittersbach erreicht. Er wandte sich dann nach Osten und wütete noch über 35 Kilometer, um dann gegen 21.50 Uhr östlich von Wurmberg zu verschwinden. Insgesamt hatte er 130 Kilometer zurückgelegt, wobei er im Rheintal für eine halbe Stunde „verschwunden“ war.

Schwüler Sommertag

Unwetterwarnungen, die auf solche Wetterphänomene hinweisen, gab es damals vor 40 Jahren noch nicht. Die Bevölkerung wurde von diesem Tornado völlig überrascht. Es war ein ungewöhnlich schwüler Sommertag gewesen. Viele Menschen saßen noch auf ihren Balkonen oder im Garten, als sich das Unheil näherte. Auch in der PZ war niemand auf das eingestellt, was sich nach Redaktionsschluss ereignen sollte. Es sollte dann eine lange Nacht werden.

„Nächtliche Unwetter-Katastrophe durch Tornado – Pforzheims südliche Stadtteile gestern Abend verwüstet – Viele Verletzte und vermutlich auch Todesopfer – Verheerende Schäden – Autos übereinander gewirbelt – Unter den Trümmern begraben“ lauteten die Schlagzeilen in der Ausgabe vom 11.Juli. Das volle Ausmaß der Schäden war in der Nacht jedoch nur zu ahnen.

Innerhalb von drei Minuten hatte das Unwetter auf 600 Meter Breite das Brötzinger Tal, das Rodgebiet, Bleichstraße und Stadtgarten sowie Teile von Buckenberg und Haidach verwüstet. Dächer wurden abgedeckt, ganze Fassaden abgerissen, Bäume entwurzelt, Autos durch die Luft gewirbelt, Laternenmasten wie Streichhölzer umgeknickt.

Nach Stunden befreit

Im Sportheim auf dem Buckenberg hatte der Tornado das Dach eingedrückt.Die dort eingeschlossenen Menschen konnten erst nach Stunden mühsam befreit werden. In der Friedenstraße riss der Sturm eine Frau vom Balkon des zweiten Stockwerks.

Als junger Lehrer war CDU-Stadtrat Rolf Constantin nach Pforzheim gekommen. Zwei Wochen zuvor hatten er mit seiner Frau Barbara und dem 18 Monate alten Sohn Markus ihre Neubauwohnung auf dem Haidach bezogen. Als sie aus der Ferne ein Donnern vernahmen schauten sie nach dem Kleinen. Er schlief friedlich. Die Eltern gingen ins Wohnzimmer zurück. Was sich wenig später ereignete hatte Constantin damals wie folgt beschrieben: „Wir hatten plötzlich Angst. Da kam auch schon der Sturm auf. Plötzlich wirbelten unsere Fensterscheiben durch die Wohnung. Wir stürzten ins Kinderzimmer. In diesem Augenblick flog das Dach weg und wir standen unter freiem Himmel.“

Benommen seien er und seine Frau, vom Windstoß zu Boden gerissen, wieder hochgetaumelt. Wo zuvor das Bettchen des Jungen stand, lag nun eine verbogene Blechplatte – unter ihr der kleine Markus, über und über mit Staub bedeckt, aber wie durch ein Wunder nur mit einem harmlosen Katzer am Köpfchen. Die Constantins hatten, weggefegt vom Tornado, alles verloren. Der Familie selbst war glücklicherweise nichts passiert.

Stockwerk weggerissen

Über 300 Verletzte waren in dieser Nacht zu beklagen, davon allein 200 in Pforzheim. Außerhalb der Stadt hatte es Ottenhausen am schlimmsten getroffen. Dort starben das Ehepaar Frieda (57) und Emil (58) Nittel. Der Tornado hatte das oberste Stockwerk ihres Hauses weggerissen. Dabei kam der Mann im Schlafzimmer ums Leben, seine Frau wurde unter den Trümmern begraben. Im Krankenhaus erlag sie ihren schweren inneren Verletzungen.

Sechs Häuser waren in der Gemeinde total zerstört, über 50 beschädigt worden. In Ittersbach wurden auch 140 Hektar Wald vernichtet. Die Kleinbahn-Trasse nach Pforzheim wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Sie wurde nach dem Tornado nie wieder aufgebaut. Auch um Gräfenhausen gab es große Schäden im Forst. Von 115 Gebäuden in Neubärental waren 70 schwer in Mitleidenschaft gezogen worden.

In Pforzheim hatte Oberbürgermeister Will Weigelt um 1.50 Uhr Katastrophenalarm gegeben. Erster Bürgermeister Albert Klein, der zwei Jahre zuvor von Witten an der Ruhr nach Pforzheim gekommen war, wurde zum Einsatzleiter bestimmt.

Am Tag nach dem Unwetter leitete auch die Landesregierung Hilfsmaßnahmen ein. Die Stadtverwaltung rief die Bevölkerung zu Blutspenden auf. Bereitschaftspolizei wurde zur Unterstützung von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Rotem Kreuz und zivilem Bevölkerungsschutz abgestellt. Die auf dem Buckenberg stationierten französischen Husaren, ebenfalls vom Tornado betroffen, reihten sich in die Retterschar ein. Bundeswehr-Soldaten und Einheiten der US-Streitkräfte kamen hinzu. Bis zu 3000 Helfer waren th im Einsatz.

Das DRK gab täglich 6000 kalt e und warme Essen aus. 200 Personen waren obdachlos geworden. Einige mussten bis zur Wiederherstellung der eigenen Wohnung bis zu drei Monate in provisorischen Unterkünften verbringen. Ein Strom von Neugierigen ergoss sich in die Stadt, es gab sogar Omnibus-Sonderfahrten. Daraufhin sperrte die Polizei die Zufahrtstraßen ins Katastrophengebiet ab. Ein willkommener Besucher war dagegen Ministerpräsident Hans Filbinger, der sich vom Ausmaß der Schäden selbst ein Bild machte.

Material geht aus

An alle Dachdecker und Zimmerleute zwischen Karlsruhe und Stuttgart war der Appell ergangen, sich im Rathaus einzufinden, um die Arbeiten zu koordinieren. Ziegel, Glas und Abdeckfolien wurden zur Mangelware. Zwei Tage nach dem Orkan war die Zahl der offenen Dächer aus 1200 geschätzt worden. Eine Woche später waren es nur noch 200.

Nach einem späteren Bericht des Innenministeriums waren im badischen und württembergischen Landesteil über 3300 Gebäude beschädigt worden. 160 000 Festmeter Sturmholz waren angefallen. 440 Hektar Wald mussten neu aufgeforstet worden. Der Gesamtschaden wurde auf umgerechnet 100 Millionen Euro geschätzt.

Nicht nur durch den Tornado selbst wurden hunderte von Menschen verletzt. Während der Aufbau- und Aufräumarbeiten mussten zudem 130 Personen in den städtischen Kliniken behandelt werden. Ein Handwerker stürzte vom Dach und erlitt eine tödliche Schädelfraktur.

Groß war die Spendenbereitschaft aus der Bevölkerung. Allein in Pforzheim kamen 1,3 Millionen Mark für Notleidende zusammen. Eine Ziegelspendenaktion des Süddeutschen Rundfunks brachte über 400 000 Mark. Am 25. Juli war der Katastrophenfall aufgehoben worden.

Im Auge des Sturms - Erinnerungen des Feuerwehrmanns Günter Klittich[Video] Flash-Animation des SWR über den Tornado

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