
- Simon Walter
Smartphone einkassieren, Schulstunde ausdehnen: Dass Lehrer mehr dürfen als oft angenommen, erklärt der Schulrecht-Experte Thomas Böhm im PZ-Interview. Darin beantwortet der Autor des Buchs „Nein, du darfst jetzt nicht aufs Klo“ die Fragen von Schülern und Lehrern aus der Region.
PZ: Herr Böhm, Lehrer werden Ihr Buch lieben – schließlich geht es oft darum, dass sie mehr dürfen als angenommen. Drehen wir den Spieß trotzdem mal um: Gibt es Dinge, die Lehrer häufig machen, obwohl sie es nicht dürfen?
Thomas Böhm: Das will ich nicht hoffen. (lacht) Dinge, die Lehrer häufig machen, obwohl sie in ernsthafter Weise rechtswidrig sind, gibt es nicht. Was es gibt, sind kleinere Verfehlungen. Zum Beispiel, bei der Aufsicht zu spät zu kommen, den Unterricht nicht pünktlich zu beginnen, oder bei erzieherischen Maßnahmen zu schematisch vorzugehen.
Was ist an einem schematischen Vorgehen auszusetzen?
An einigen Schulen heißt es zum Beispiel: Dreimal getadelt, das hat einen Unterrichtsausschluss für einen Tag zur Folge. Das erleichtert zwar die tägliche Arbeit, kann aber durch das Schematische schnell rechtswidrig werden. Denn es muss letztlich immer eine Einzelfallabwägung geben, ob ein Schüler bei einem Fehlverhalten ausgeschlossen wird.
Wir haben Lehrer und Schüler gefragt, was sie von Ihnen wissen möchten. Eine Frage kam von beiden Seiten: Wann dürfen die Pädagogen einen Schützling vor die Tür schicken?
Dann, wenn der Lehrer keine andere Möglichkeit sieht, eine Störung durch die Schüler zu beseitigen. Der Lehrer muss sich einerseits überlegen, ob alternativ auch eine Ermahnung oder das Wegsetzen erfolgreich sein kann. Und er muss sich andererseits überlegen, wie sehr das Verhalten den Unterricht stört. Er kann sich ja nicht zehn Minuten mit einem Schüler auseinandersetzen, das würde den Unterrichtsanspruch der anderen vernichten.
Verletzt er damit nicht seine Aufsichtspflicht?
Da kommt es auf die Umstände an: Wie alt und wie reif ist der Schüler? Mit welchem Verhalten muss ich rechnen, ist er sehr aufgebracht? Gut ist natürlich, wenn der Schüler nicht klassisch vor der Tür stehen muss, sondern es einen beaufsichtigen Bereich für solche Fälle gibt. Aber der Lehrer kann auch die Tür offen lassen oder dem Schüler sagen, er soll die Klinke runterdrücken. Wichtig ist, dass die Schüler unsicher sind, wann sie wieder in den Raum geholt werden. Ein Verstoß gegen die Aufsichtspflicht wäre es, wenn die Schüler wissen, dass aus dem Unterricht verwiesen zu werden bedeutet, dass sie bis zum Ende der Stunde machen können, was sie wollen.
Wir starten mit den Schülerfragen. Eine Schülerin möchte wissen, ob der Lehrer ihr das Trinken im Unterricht verweigern darf...
Ja. Der Lehrer darf den Schülern Vorgaben für das Verhalten im Unterricht machen. Etwas zu trinken ist zwar kein Fehlverhalten, das offensichtlich verboten ist – wie etwa Mitschüler zu schlagen. Sondern es ist so, dass der Lehrer – oder die Schule in der Schulordnung – entscheidet, ob das im Unterricht erlaubt ist.
Ebenfalls ein großes Thema bei den Schülern sind Lehrer, die das Smartphone einkassieren. Wie lange dürfen sie es behalten?
Einen Schüler, der einfach mal vergessen hat, das Ding auszuschalten, wird man nur ermahnen oder ihm das Handy bis zum Ende der Schulstunde wegnehmen. Wenn das ein schwerwiegenderer Fall ist, behält man es bis zum Ende des Unterrichtstages. Stört der Schüler häufiger, kann man es auch über den Tag hinaus behalten und die Eltern auffordern, zur Schule zu kommen – auch, um zu besprechen, weshalb das Kind immer wieder mit dem Smartphone stört. Liegt sogar der Verdacht eines schwerwiegenderen Fehlverhaltens vor – wurden etwa Schüler gefilmt, um sie lächerlich zu machen, oder gewaltverherrlichende Darstellungen verschickt – kann der Lehrer das Smartphone so lange behalten, bis die Eltern oder in ganz gravierenden Fällen die Polizei feststellen, was sich darauf befindet.
Und wenn die Eltern es – zum Beispiel kurz vor den Ferien – nicht abholen?
Dann muss die Schule es zurückgeben, sie darf es nicht einfach behalten. Aber sie würde dann eine Ordnungsmaßnahme ergreifen, um das Fehlverhalten des Schülers auf andere Weise zu sanktionieren.
Eine weitere Schülerfrage: Beendet der Gong oder der Lehrer den Unterricht?
Es stimmt so, wie es die Lehrer auch immer selbst sagen „Ich beende den Unterricht und nicht der Gong.“ Der Gong ist nur ein organisatorisches Hilfsmittel. Er zeigt an, dass die geplante Unterrichtszeit beendet ist. Wenn der Lehrer aber zum Beispiel noch eine Hausaufgabe aufgeben oder die Klasse ermahnen möchte, dann kann er das tun. Es gibt keinen minutengenauen Anspruch auf Pause.
Ein Lehrer in der Region hat eine Klassenarbeit mit einer 6 bewertet, weil er Zuhause merkte, dass die Schülerin aus dem Internet abgeschrieben hat. Durfte er das?
Ja. Es kommt nicht darauf an, wann der Lehrer das merkt, sondern darauf, dass der Schüler abgeschrieben hat – und der Lehrer Tatsachen nennen kann, die diesen Verdacht begründen.
Eine 6 gab es auch für einen Schüler, der eine Powerpointpräsentation halten wollte – was dann aber nicht möglich war, weil die Technik streikte.
Das ist keine gerechtfertigte Notengebung. Zwar gehört es bei einer Präsentation dazu, dass man sich Gedanken macht, ob die Technik funktioniert. Doch der Kern der Leistung, die erbracht werden soll, ist nicht, die Technik im Griff zu haben, sondern bestimmte Inhalte zu vermitteln. Aber wenn der Lehrer den Schüler auffordert, seinen Vortrag dann eben ohne Powerpointpräsentation zu halten, dann muss der Schüler das machen.
Gibt es Vorgaben, wann ein Lehrer das Fehlverhalten eines Schülers ins Klassenbuch eintragen darf?
Nein, genaue Vorgaben dafür gibt es nicht. Das sind meist allgemeine Formulierungen wie „besondere Vorkommnisse“. Was darunter zu verstehen ist, entscheidet der Lehrer.
Und noch eine Schülerfrage: Wie früh muss eine Klassenarbeit angekündigt werden?
Dazu gibt es in der Regel genaue Regelungen, die von Bundesland zu Bundesland und von Schulstufe zu Schulstufe unterschiedlich sind. (Anm. d. Red.: In der baden-württembergischen Notenbildungsverordnung ist jedoch lediglich festgelegt, dass Klassenarbeiten angekündigt werden müssen - aber nicht, wann.)
Eine Schülerin beklagt sich darüber, dass ihr Lehrer gesagt habe, sie besitze RTL2-Niveau...
Das darf er – auch wenn man darüber diskutieren kann, ob das klug von ihm ist. Lehrer dürfen Schüler zwar nicht beleidigen. Aber man muss die Unterrichtssituation auch sehen, wie sie ist: Ein langfristiges Zusammensein von Lehrern und Schülern – und da müssen auch beide Seiten damit leben können, dass mal flapsige und nicht ganz gelungene Bemerkungen gemacht werden. Sollte es aber so sein, dass solche Bemerkungen in keinem Zusammenhang zu Leistung und Verhalten der Schülerin stehen, und nur dazu dienen, sie lächerlich zu machen, dann wäre die Aussage verboten.
An wen sollte sich die Schülerin wenden, wenn Letzteres der Fall ist?
Sie kann sich an den Klassen- oder den Vertrauenslehrer wenden oder sich im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Schulleitung oder auch bei der Schulaufsichtsbehörde beschweren. Kein Schüler muss es sich gefallen lassen, vor der Klasse fertiggemacht zu werden.
Damit kommen wir zu Fragen, die Lehrer gestellt haben. Die erste: Darf der Lehrer die Klassenarbeit, die mit Schnitt schlechter als 4,0 ausfiel, nicht werten, wenn er dafür einen Ersatz-Leistungsnachweis macht – also zum Beispiel eine zusätzliche Arbeit?
Wenn es dafür keine gesetzlichen Vorschriften gibt, ist das problematisch, weil man damit auch die Leistung derjenigen annulliert, die gute Noten geschafft haben. Sowas würde man daher nur tun, wenn es Vorschriften gibt, die regeln, dass bei einem bestimmten Notenbild neu geschrieben werden muss, oder, wenn es rechtlich relevante Fehler gegeben hat. Ich würde in einem solchen Fall jeden Schüler für sich entscheiden lassen, ob er eine Ersatzarbeit schreibt oder nicht. Er darf sich dann aber nicht die bessere Note aussuchen.
Wann muss ein Lehrer das Jugendamt einschalten?
Lehrer können nicht sagen: Ich vermute zwar eine Kindeswohlgefährdung, aber die findet im Privaten statt, daher habe ich nichts damit zu tun. Sie sind verpflichtet, bei einem entsprechenden Verdacht die Schulleitung zu informieren – und die entscheidet dann, ob das Jugendamt benachrichtigt wird.
Muss der Pädagoge die Eltern über die Maßnahme informieren?
Im Normalfall führt man ja vorher Gespräche und verschafft sich einen Eindruck. Aber es ist nicht zwingend vorgeschrieben, den Eltern mitzuteilen, dass man sich an das Jugendamt wendet.
Es gibt Schulen, bei denen die Kinder mit einem Schultaxi gebracht und abgeholt werden. Ein Schüler macht wiederholt die Hausaufgaben nicht, daher will der Lehrer ihn nachsitzen lassen. Geht das – auch wenn das Taxi nicht warten kann?
Bei einem solchen längerfristigen Problem würde man das Nachsitzen ja nicht spontan anordnen. Das heißt, man kann den Eltern mitteilen, wann das stattfindet und ihnen mit einem entsprechenden Vorlauf sagen, dass sie für den Transport ihres Kindes sorgen müssen. Das darf man verlangen, weil die Eltern grundsätzlich die Verpflichtung haben, dafür zu sorgen, dass die Kinder in die Schule und nach Hause kommen.
Stichwort „nach Hause kommen“: In Pforzheim wurden vor zwei Jahren mehrere Realschülerinnen nach Hause geschickt, weil sie sehr knappe Hot Pants trugen. War das erlaubt?
Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, das zu tun. Die Grundlage dafür ist der schulische Erziehungsauftrag: Je nachdem wie Schüler sich kleiden, kann das die schulische Ordnung stören, wenn Mitschüler oder Mitschülerinnen daran Anstoß nehmen. Zudem soll die Schule ja zu einem sozial angemessenen Verhalten erziehen. Und dazu gehört es auch, sich in der Schule anders zu kleiden als im Freibad oder in der Discothek.
Trüge der Lehrer dann die Schuld daran, wenn den 14-, 15-Jährigen auf dem Heimweg etwas passiert?
Nein, denn in diesem Alter ist keine besondere Gefahrenlage zu erkennen. Sie sind auf dem Schulweg mit dem Auftrag, sich zu Hause umzuziehen und danach wieder zur Schule zu kommen. Das heißt, sie kennen den Weg genau, sie sind in einem Alter, in dem sie damit nicht überfordert sind, und die Schule weiß, wann sie ungefähr wieder da sein müssten. Lehrer haften ja nicht für irgendwelche Gefahren, die denkbar sind, sondern für Gefahren, die sie hätten vorhersehen müssen. Rechtliche Schwierigkeiten bekommen die Lehrer, wenn sie bewusst das Risiko eingehen, dass etwas passiert.
Drehen wir auch hier den Spieß um: Wie müssen sich denn Lehrer kleiden?
Jeder im öffentlichen Dienst Beschäftigte muss sich „amtsangemessen“ verhalten. Und dazu gehört auch die Kleidung. Was jeweils amtsangemessen ist, hängt natürlich vom Amt ab. Aber man kann sagen, dass Lehrer immer in sauberer, gepflegter Kleidung, etwas über dem Kleidungsniveau der Schüler, in der Schule tätig werden. Ein Lehrer der mit Flip-Flops, Shorts und Muskelshirt in die Schule kommt, der ist mit Sicherheit nicht amtsangemessen bekleidet.
Ihr Buch heißt „Nein, du gehst jetzt nicht aufs Klo“. Was hat es damit auf sich? Dürfen Lehrer Schülern denn verbieten, auf die Toilette zu gehen?
Ja, das dürfen sie. Denn die Schüler haben die Verpflichtung, am Unterricht teilzunehmen. Und davon kann der Schüler sich nicht selbst befreien. Er muss den Lehrer fragen, ob der ihm gestattet, den Unterricht zu verlassen – und das gilt für alle Situationen, auch für den Toilettengang.
Und der Lehrer darf immer „Nein“ sagen?
Er muss seine Entscheidungen immer begründen können – auch in diesem Fall. Wenn der Lehrer sagt, dieser Wunsch wird von dem Schüler an jedem zweiten Tag geäußert, dem ist nur langweilig und er will gar nicht zur Toilette, dann steht der Schüler schon unter einem Begründungszwang.
Und darf der Lehrer während des Unterrichts aufs Klo?
Der Lehrer darf den Unterrichtsraum grundsätzlich nicht verlassen. Er hat eine Aufsichtspflicht. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Wenn es einen wichtigen Grund gibt, darf er den Raum eben doch verlassen – wobei er sich unter Aufsichtsgesichtspunkten überlegen muss, ob er den Kollegen in der Nachbarklasse bittet, zu beobachten, ob alles in Ordnung ist.