Kultur
Picasso-Museum in Münster: Plastiken und Zeichnungen widmen sich Alberto Giacometti
  • Florentine Dame

Münster. Wie zerklüftete Streichhölzer stehen sie da, Alberto Giacomettis bronzene Frauen von Venedig. Ihre übergroßen Füße erden diese so wenig femininen, in die Länge gestreckten Gestalten, ganz so, als liefen sie sonst Gefahr, vom Wind davongeweht zu werden.

Daneben steht der „Schreitende Mann II“. Giacometti (1901–1966) gab auch ihm die für ihn typischen knochendünnen Beine, das schroffe Antlitz. Ein langer Schritt und die nach vorn geneigte Haltung lassen die Figur dynamischer erscheinen als die Frauengruppe. Es sind diese berühmten Stabfiguren des Bildhauers, die im Raum zum Blickfang werden.

Rekordwert 141 Millionen

Auch wenn das Picasso-Museum in Münster mit seiner neuen Giacometti-Schau den Anspruch hat, den Schweizer auch als Maler zu würdigen: Es war eben eine dieser deformierten Figuren, die im Mai 2015 bei einer Auktion den bisherigen Rekordwert für eine Skulptur von 141 Millionen US-Dollar erzielte. Keine Bleistift-Zeichnung, keine Grafik, kein Gemälde.

Die Ausstellung in Münster bringt 115 Arbeiten seines Gesamtwerks zusammen, 36 davon stammen aus dem zuletzt so hochgehandelten bildhauerischen Schaffen Giacomettis. So ist es auch kein Wunder, dass sie angesichts nicht benannter, aber sehr hoher Versicherungsprämien die bislang teuerste Schau für das Kunstmuseum Pablo Picasso in Münster ist, wie dessen Leiter Markus Müller sagt. Zur Verfügung gestellt hat die meisten Arbeiten die südfranzösische Fondation Maeght. Deren Gründer, der Galerist Aimé Maeght, erwarb die Arbeiten noch zu Lebzeiten Giacomettis.

„Wir können also sicher sein, dass sie auch wirklich von ihm sind“, betont Müller. Denn noch einen Superlativ verbucht Giacometti für sich: Er sei einer der meist gefälschten Meister der klassischen Moderne.

Vielleicht war er auch der Selbstkritischste: Mehr als 40 Versionen des schreitenden Mannes soll er in Bronze gegossen haben. Nur zwei hielten dem eigenen Anspruch stand. Den Rest zerstörte er, ganz so wie er auch Leinwände wieder reinigte. „Selbstkritisch bis zum Exzess“ sei er gewesen, ein „Großmeister des schöpferischen Zweifels“, so Müller. Dass Giacometti nicht nur als Bildhauer eine der prägenden Figuren der Moderne war, dem will die Ausstellung auf zwei Etagen Rechnung tragen. Nachgezeichnet wird seine gesamte Entwicklung vom Jugendlichen, der in seinem Schaffen noch dem Vater nacheiferte, bis zum gefeierten Künstler mit eigener Formensprache. In unzähligen Porträts entwickelte er diese auch mit dem Bleistift – zahlreiche für die Ausstellung ausgewählte Papierarbeiten zeugen davon.

Inspiration Afrika

Auch weniger Bekanntes ist zu entdecken: Ganz und gar klobige Skulpturen aus den 1920ern, für die er sich bei afrikanischer Stammeskunst inspirieren ließ; auf Reisen in die Schweizer Bergheimat entstandene Stillleben; Lithographien, die den Radiergummifreund zwangen, die einmal gezogene Linie zu akzeptieren.

Die Schau ist bis zum 24. Januar zu sehen. Die meisten Besucher in der Warteschlange, mit denen der Museumschef des verhältnismäßig kleinen Hauses rechnet, kommen wohl, um den Bildhauer Giacometti zu sehen. Die Chance, den Zeichner in ihm in großer Tiefe zu entdecken, haben sie nun auch.

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