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Gutachter versetzt Halbwissen um K.-o.-Tropfen den Knock-out
  • Sven Bernhagen

Enzkreis-Pforzheim. Nach einem Fest Anfang Juni in Ispringen hatten zwei Frauen den Verdacht geäußert, mit K.-o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt und möglicherweise Opfer einer Straftat geworden zu sein. Und auch bei einem Vergewaltigungsprozess Anfang der Woche in Pforzheim stand der Verdacht im Raum, dass solche Substanzen genutzt wurden. Ein Gutachter hat vor Gericht erklärt, dass es durchaus auch Alkohol sein kann, der die Symptome hervorruft, die landläufig den K.-o.-Tropfen zugeschrieben werden.

Sooo viel habe man bei dem Fest doch gar nicht getrunken und plötzlich – Filmriss. Schnell kommt da der Verdacht auf, es müssen K.-o.-Tropfen im Spiel gewesen sein. Eine andere Erklärung haben die Beteiligten oft nicht. Dr. Roman Bux schon.

Der Heidelberger Rechtsmediziner war als Gutachter im Pforzheimer Berufungsprozess eingeschaltet, in dem zwei Männer wegen Vergewaltigung einer 27-Jährigen aus dem Enzkreis verurteilt wurden. Auch sie hatte die Vermutung geäußert, mit K.-o.-Tropfen gefügig gemacht worden zu sein. Ein kurz nach der Tat durchgeführter Bluttest war allerdings negativ. Woher also der Filmriss?

Bux nennt das Phänomen „Sturztrunk“. Ausgelöst wird es, wenn binnen kürzester Zeit eine große Menge harter Alkohol getrunken wird. So waren die Schilderungen auch im Vergewaltigungsfall. Die Wodka-Flasche kreiste, das Opfer nahm einige große Schlucke – 1,8 Promille wurden später bei der jungen Frau gemessen.

„Um eine Sturztrunksymptomatik auszulösen, reichen 0,1 Liter von einem 40-prozentigen Wodka“, so Bux. Wird diese Menge innerhalb von wenigen Minuten getrunken, komme der Alkohol geballt im Dünndarm an, gelange über die Schleimhäute ins Blut, werde über die Leber und die Lunge zum Herzen transportiert und von dort ins Gehirn gepumpt. „Das geht innerhalb von ein paar Minuten, das sind ja nur 60 Zentimeter Blutbahn“, erklärt Bux. Schlagartig könne der Alkoholwert im Gehirn bis auf 20 Promille ansteigen. „Das stellt eine starke Vergiftung dar. Die Nervenzellen stellen ihre Arbeit ein“, so Bux. Beim Betroffenen komme es zu Ausfallerscheinungen – je nach Fall gehe das Licht ganz aus.

Genauso schnell wie der Alkoholpegel im Hirn ansteige, falle er aber auch wieder. „Durch biologische Prozesse wird der Alkohol im restlichen Körper verteilt“, sagt Bux. Die Betroffenen, die auf einmal weg waren, sind schlagartig wieder da – oft ohne sich übermäßig betrunken zu fühlen. Tatsächlich liege der Blutalkoholwert nach 0,1 Litern Wodka nur etwa bei einem Promille. Und trotzdem treten genau die Symptome auf, die landläufig K.o.-Tropfen zugeschrieben werden.

Aber auch wenn es eine andere Erklärung für die Symptome gibt, darf die Gefahr, die von K.-o.-Tropfen ausgeht, nicht unterschätzt werden. Kommen sie tatsächlich zum Einsatz, kann es für die Opfer bei hoher Dosierung sogar lebensbedrohlich werden. Hat man also einen Filmriss und den Verdacht, Opfer einer Straftat geworden zu sein, gilt: Möglichst schnell nach der vermeintlichen Tat einen Blut- und Urintest machen lassen, um Sicherheit zu bekommen. Denn K.-o.-Tropfen sind meist nur wenige Stunden – nachzuweisen. Dabei gilt laut Bux zudem: Je geringer die Dosis, desto kürzer ist die Substanz nachweisbar.

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