Rottenburg hat nach fast 200 Jahren endlich seine Wurzeln als Bischofsstadt gefunden. Einige sehr alte Fundamente beweisen: Der Bischofssitz ist kein reines Kunstprodukt politischer Wirren und Verwicklungen.

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Archäologen finden große Kirche unter Rottenburger Bischofsgruft
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Rottenburg. Dass Rottenburg Bischofsstadt für 1,9 Millionen Katholiken in Württemberg ist, könnte man wohlwollend mit dem Wort Zufall beschreiben. Doch 200 Jahre, nachdem die Wirren der Geschichte dem Städtchen zu unverhofften Ehren verholfen haben, ist Archäologen eine völlig unerwartete Entdeckung gelungen: Am Stadtrand haben sie Grundmauern einer gewaltigen Kirche aus dem 8. Jahrhundert gefunden.

Für die Experten sind sie der Beweis: Das heutige Rottenburg war in den Anfangsjahren des europäischen Christentums eine religiöse und politische Hochburg mit Strahlkraft weit über die Region hinaus. Der Bischof hofft, dass die Katholiken jetzt endgültig ihren Frieden mit der kleinen Bistums-Hauptstadt machen können.

Der Ort, der den Bischof am Freitag so begeisterte, ist ein kleiner, hübscher Friedhof. Für die Diözese hat er schon lang eine besondere Bedeutung, wenn auch aus einem anderen Grund. Vor rund 150 Jahren waren die Bischöfe auf den Sülchenfriedhof aufmerksam geworden und errichteten unter der Kirche ihre Bischofsgruft. Neun Oberhirten haben dort bislang ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Doch die Gruft ist in einem schlechten Zustand. «Je nach Witterung stand das Wasser knöcheltief, so dass die Grabkammern von Kellerschwamm und Schimmel befallen waren», sagt Dompfarrer Harald Kiebler. Im vergangenen November hat die Diözese die Leichname der Bischöfe umgebettet um mit der Sanierung der Sülchenkirche begonnen. Gleichzeitig sollte die Gruft mit ihren derzeit 12 Grablegen erweitert werden, so dass 20 Bischöfe dort beigesetzt werden können.

Doch als Archäologen damit begannen, das Gelände zu untersuchen, stießen sie auf eine handfeste Überraschung. «Was wir gefunden haben, hat unsere Erwartungen bei weitem übertroffen», erzählt Denkmalpflegerin Beate Schmid. Die Experten stießen auf die Fundamente einer gewaltigen Kirche mit drei großen Altar-Nischen aus dem 8. Jahrhundert. Solche Kirchenbauten seien in Süddeutschland völlig unbekannt, sagt Schmid. In der Schweiz ist eine vergleichbare Kirche als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.

Jetzt rätseln die Experten, weshalb es in der längst verfallenen Siedlung Sülchen eine derart bedeutende Kirche gab. Andererseits passe der Fund ins Bild, sagt Schmid. Seit den 1980er Jahren ist bekannt, dass Sülchen rund 40 Hektar groß war, aus hunderten Häusern bestand und geschotterte Straßen hatte - damit war es eine Metropole. Die Kirche lege nun endgültig nahe, dass die Grafen von Sülchen zum Hochadel zählten und die Stadt ein religiöses Zentrum war.

Die Diözese weiß nun also, dass sie ihre Bischöfe seit 150 Jahren zufällig auf einem der geschichtsträchtigsten Orte Süddeutschlands bestattet. «Diesen Wert kann man nicht hoch genug einschätzen, es ist ein außerordentliches Geschenk für unsere Diözese», sagt der Bischof. Doch die Sorgenfalten sind nicht zu übersehen. Für möglichst kleines Geld wollte die Diözese die Bischofsgruft sanieren lassen. Daraus wird nun nichts. Fürst will die Zeugnisse der ersten alemannischen Christen in Süddeutschland für Besucher zugänglich machen. Gleichzeitig muss neu überlegt werden, wie die Bischofsgruft vergrößert wird, ohne die archäologischen Fundstellen zu zerstören.

Trotzdem hat der Fund der bedeutenden Kirche eine ganz grundlegende Bedeutung. Bislang war Rottenburg als Bischofsstadt der viertgrößten unter den 27 deutschen Diözesen ein Kunstgebilde - allein den politischen Wirren bei der napoleonischen Neuordnung Europas im 19. Jahrhundert geschuldet. Immer wieder gab es Überlegungen, den Bischofssitz in das politisch und historisch sehr viel bedeutendere Stuttgart zu verlegen. «Aber die aktuellen archäologischen Grabungen zeigen nun, dass Rottenburg nicht ein willkürlich vom damaligen württembergischen König als Bischofssitz ausgewähltes Städtchen ist, sondern dass hier katholische Glaubenskultur ihre ganz tief reichenden Wurzeln offen legt», sagte Fürst. Diese Gewissheit tue der Diözese und der Bischofsstadt gut.

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