Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen, r-l), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU), Innenminister des Landes, und Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen), Minister für Soziales und Integration, geben eine Regierungs-Pressekonferenz im Bürger- und Medienzentrum des Landtags. Kretschmann hat drastische Maßnahmen für Regionen mit extrem ausufernden Corona-Infektionszahlen im Bundesland angekündigt.
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Baden-Württemberg
Gilt bislang nur für Pforzheim: Kretschmann kündigt drastische Maßnahmen für 300er-Hotspots an
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Stuttgart. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will die gefährlich anschwellende Corona-Welle mit drastischen Maßnahmen brechen - bis hin zu einem harten Lockdown nach den Weihnachtsfeiertagen. Der Grüne nannte die Lage am Dienstag «gefährlich» und verwies auf neue Rekordwerte bei Infektionszahlen und Corona-Toten im Land sowie den sogenannten R-Wert, der den dritten Tag in Folge wieder über 1 liege. «Es deutet sich an, dass das exponentielle Wachstum zurück sein könnte.» Um die Lage wieder in den Griff zu bekommen, könne es sein, «dass wir einen kurzen scharfen Lockdown machen müssen». Damit würde wie im März fast das komplette gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben stillgelegt. Die Menschen müssen sich auf strengere Ausgangsbeschränkungen und die Schließung von Läden einstellen.

Aber kein Alleingang Baden-Württembergs

Allerdings müsse eine Lockdown im Kreise der anderen Ministerpräsidenten und mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgestimmt werden - Kretschmann hofft auf ein Treffen in der nächsten Woche. «Es hängt einfach von den Menschen selber ab, wie stark sie sich an die Regeln halten.» Einen Alleingang Baden-Württembergs schloss Kretschmann gleichwohl aus.

"Wir brauchen Klarheit und schnelle Antworten, die wirken."

SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast

Als Sofortmaßnahme will die grün-schwarze Regierung den Ausschank von Glühwein unter freiem Himmel unterbinden. Man werde ein flächendeckendes Alkoholverbot in die nächste Corona-Verordnung aufnehmen, kündigte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) an. Die Kommunen sollten das schon zum 3. Advent umsetzen.

Drastische Maßnahmen für Hotspot-Regionen

Darüber hinaus soll es drastische Maßnahmen für Regionen mit extrem ausufernden Corona-Infektionszahlen geben. Man werde noch diese Woche für Regionen mit mehr als 300 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen weiter einschneidende Maßnahmen beschließen müssen. Er hoffe, dass die Maßnahmen für die extremen Hotspots Anfang nächster Woche in Kraft treten könnten. Nach den jüngsten Infektionszahlen wäre nur Pforzheim von den neuen Regeln betroffen.

Der Städtetag unterstützt die Linie der Regierung:

«Die Städte und Gemeinden tragen härtere Maßnahmen nicht nur mit – sie fordern sie teilweise selbst, um die Infektionszahlen endlich wieder zu senken», teilte Vorstandsmitglied Gudrun Heute-Bluhm mit.

Die Kommunen spürten die Unsicherheit der Bevölkerung und merkten, wie sich die Lage in den Krankenhäusern täglich zuspitze.

Die Pforzheimer SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast äußerte sich wie folgt: "Die Infektionslage in Pforzheim spitzt sich weiter zu. Die Hotspot-Strategie der Landesregierung kam zu spät. Da gibt es nur noch Streit zwischen Grünen und CDU: Kretschmann und Eisenmann zu den Schulferien vor Weihnachten – ebenso zerstritten wie Strobl und Lucha. Wir brauchen Klarheit und schnelle Antworten, die wirken."

Die bisherige Hotspot-Strategie des Landes zielt ab auf Regionen mit mehr als 200 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Diese Regeln beinhalten zum Beispiel bereits schärfere Kontaktregeln und nächtliche Ausgangsbeschränkungen. An Schulen in betroffenen Stadt- und Landkreisen kann es Wechsel- und Fernunterricht in älteren Jahrgangsstufen geben.

Leopoldina macht Druck und will auch Schulen schließen

Wegen der anhaltend hohen Corona-Infektionszahlen mehren sich bundesweit die Forderungen, das öffentliche Leben deutlich stärker als bisher einzuschränken. Die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina pocht auf eine drastische Verschärfung der Corona-Beschränkungen bereits ab kommender Woche. Die Feiertage und der Jahreswechsel sollten für einen «harten Lockdown» genutzt werden, hieß es.

In einem ersten Schritt sollte die Schulpflicht vom kommenden Montag (14. Dezember) an bis zu den Weihnachtsferien aufgehoben werden. Damit sei gemeint, dass die Schüler nicht mehr in die Schule kommen müssen, erläuterte eine Sprecherin der Leopoldina. Das entbinde nicht von der Pflicht, zu Hause Aufgaben zu lösen. Ab 24. Dezember bis mindestens 10. Januar sollte dann «in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen».

Eisenmann für Lockdown, aber gegen Schulschließungen

Die CDU-Spitzenkandidatin und Kultusministerin Susanne Eisenmann ist ebenfalls für einen harten Lockdown nach den Feiertagen. «Wenn die schweren und tödlichen Infektionsverläufe sich so fortsetzen, scheint ein harter Lockdown unausweichlich», sagte sie der dpa. «In der Zeit vom 27. Dezember bis 10. Januar ergäbe ein radikales Herunterfahren des öffentlichen Lebens mit schärferen Kontaktbeschränkungen absolut Sinn, weil Schulen und Kitas ohnehin geschlossen sind und viele Menschen Urlaub genommen haben.» Wie die dpa erfuhr, hat sich Eisenmann aber strikt gegen den Vorschlag der Leopoldina gewandt, die Schulen schon ab kommenden Montag zu schließen.

Teil-Lockdown hilft kaum

Nach fünf Wochen Teil-Lockdown ist weder im Land noch im Bund ein Absinken der Zahl der Neuinfektionen in Sicht ist. Vom Ziel, die Zahl unter den Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern über sieben Tage zu drücken, ist Baden-Württemberg wie andere Länder weit entfernt. Landesweit lag die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz zuletzt bei 152,1. Alle 44 Stadt- und Landkreise liegen über dem Grenzwert von 50, ab dem ein Kreis als Risikogebiet gilt. Acht davon überschreiten derzeit die kritische 200er-Marke pro 100.000 Einwohnern - darunter Pforzheim, Mannheim, Heilbronn sowie die Landkreise Calw, Tuttlingen und Lörrach.

Schärfere Kontrollen und null Toleranz für Quarantäneverweigerer

Uneinsichtige Quarantäneverweigerer sollen künftig in einem von zwei bis drei ausgewählten Krankenhäusern untergebracht werden. Nach einigem Hin und Her einigten sich Lucha und Innenminister Thomas Strobl (CDU) auf diese Lösung. Strobl kündigte zudem Schwerpunktkontrollen im ganzen Land an, ob sich die Menschen an die Auflagen halten.

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